Kennst du das: “Na ja, eigentlich brauche ich das neue Handy ja nicht, aber … (ersetze die Punkte mit deinen eigenen Vorstellungen).

Oder:

“Mein Hund hat ja schon XX (bitte mit deiner Zahl ersetzen) Brustgeschirre, aber dieses hier, das braucht er doch eigentlich auch noch, oder?”

Und so geht es weiter … Hunde erleben das auch, jeden Tag aufs neue. “Das” nennt sich konfliktträchtige Situationen. Es beschreibt einen inneren Zustand im Hund. Der Hund kann sich alleine nicht gut entscheiden, was er nun tun soll.

Dazu ein kleines Beispiel, damit es anschaulicher wird:

“Pippa sieht einen anderen Hund. Sie duckt sich, sie macht sich klein, legt sich gerade, nach vorne auf den anderen Hund ausgerichtet, hin und wartet erst einmal ab. Dann läuft sie meist ein paar Schritte nach vorne, sie bellt dabei und hüpft ganz schnell wieder zurück. Das zeigt sie im Wechsel. Das Bellen klingt nicht aggressiv, eher ein wenig unsicher. Manchmal hat sie eine Bürste (= Piloerektion) und wenn der Hund ihr irgendwie ganz gruselig ist, dann läuft sie auch mal ein paar Meter weg. Im Endeffekt  zieht Pippa eine totale Show ab, denn wenn der Hund dann da ist, dann schnüffelt sie und alles ist gut. Ist der Hund ihr sympathisch, dann spielt sie mit ihm. Na ja, eher andersrum, denn Pippa spielt mit jedem Hund und rennt sehr gerne mit Hunden.”

Aber ist wirklich alles nur Show, was Pippa (als Beispielhund) in einer Hund-Hund-Begegnung zeigt?

Natürlich nicht! 

Pippa ist in einem Konflikt, um genauer zu sein: In einem Motivationskonflikt zwischen Annäherung  an den fremden Hund und Vermeidung des unbekannten Vierbeiners.

Einerseits möchte Pippa sehr gerne Hundekontakt haben, sie möchte wissen, wie der andere Hund riecht, ob man mit dem spielen kann oder ob das ein neuer Kumpel wird.

Auf der anderen Seite hat Pippa Angst oder fühlt sich unwohl / unsicher. Der fremde Hund macht ihr Angst. Sie weiß nicht, ob er nett ist, er könnte auch gefährlich sein. Er könnte sie beißen oder sie erschrecken.

Für Pippa bedeutet ein fremder Hund also immer auch ein Konflikt. Ein Konflikt ist stressend! Je stärker ein Konflikt ist, umso stressender ist er auch.

Was aber macht Pippas Besitzerin?

Da gibt es jetzt verschiedene Möglichkeiten.

  1. Pippas Besitzerin macht gar nichts, sie findet das Verhalten eher amüsant und lustig. Sie geht einfach weiter und grüßt die andere Hundehalterin und ruft Pippa irgendwann.
  2. Pippas Besitzerin bleibt stehen und schimpft Pippa, wenn sie bellt, denn das Bellen ist unerwünscht.
  3. Pippas Besitzerin redet auf ihren Hund ein und versucht sie ungeschickt an die Leine zu nehmen. Dabei geht sie auf Pippa zu und beugt sich über ihre Hündin.

Was bewirkt das bei Pippa?

  1. Pippa fühlt sich allein gelassen. Ihre Bezugsperson sollte ihr doch eigentlich helfen in schwierigen Situationen. Pippa hat Angst, dass sie verlassen wird. Sie muss selbst schauen, wie sie mit der Situation klar kommt.
  2. Pippa ist froh, dass ihre Bezugsperson bei ihr ist. Sie fühlt sich missverstanden und weiß nicht so recht, warum sie geschimpft wird.
  3. Pippa fühlt sich angegriffen von ihrer Bezugsperson. Sie hat nicht nur Angst vor dem Hund, sondern auch vor der bedrohlichen Körpersprache ihrer Bezugsperson.

Bei diesen drei Varianten fügt die Bezugsperson einer stressigen Situation noch einen weiteren Stressor oder sogar eine Bedrohung hinzu! Der Hund fühlt sich ja schon durch seinen Motivationskonflikt unwohl und dann wird der Hund alleine gelassen oder sogar noch körpersprachlich bedroht. Das Konfliktverhalten kann nicht besser werden …

Wie geht es besser?

Die Bezugsperson arbeitet mit einem Markersignal, Brustgeschirr und Schleppleine. Sobald Pippa den fremden Hund erblickt hat, wird stehen und schauen markiert (-> Zeigen und Benennen, cumcane®) und mit einer kleinen Distanzvergrößerung und einem Leckerlie belohnt. Pippa und ihre Bezugsperson gehen einen Bogen. Für jede Annäherung hört Pippa das Markersignal von ihrer Bezugsperson und wird ganz kräftig gelobt. Pippa darf zum fremden Hund hin, muss aber nicht. Pippa darf auch zwischendurch erlerntes Verhalten zeigen, was ihr viel Spaß macht, und sie bekommt ganz viel Zeit, sich den fremden Hund anzuschauen.

Pippa wird geholfen eine Bewältigungsstrategie zu finden um mit ihrem Konflikt umzugehen.

In Konflikten zeigen die Hunde prinzipiell vier verschiedene Strategien:

  • FIGHT
    • Kämpfen
    • Aggressionsverhalten
    • Distanzverringerung
  • FLIGHT
    • Flüchten
    • Meideverhalten
    • Distanzvergrößerung
  • FIDDLE ABOUT / FLIRT
    • Herumkaspern / Schnelle, zackige Bewegungen
    • Konfliktreaktion
    • Distanzverringerung und -vergrößerung im Wechsel
  • FREEZE
    • Einfrieren
    • Konfliktreaktion
    • Der Hund friert komplett ein
    • Einzelne Körperteile des Hundes sind unbeweglich
    • Im Gehirn findet in dieser Zeit ein Verrechnungsprozess statt
    • Danach kann alles folgen
      • FLIGHT
      • FIGHT
      • FIDDLE
      • Weiteres Konfliktverhalten

Diese vier Wahlmöglichkeiten hat der Hund. Jede Wahlmöglichkeit kann noch einmal in einzelne Abschnitte unterteilt werden. Wählt der Hund anfangs FLIGHT und baut Distanz auf, dann ist dies häufig nicht erfolgreich.

  • Der fremde Hund kommt einfach hinterher
  • Der Mensch läuft seinem Hund hinterher
  • Der Mensch verhindert Distanzvergrößerung durch die Leine

Und dann?

Klar, dann wählt der Hund die Strategie FIGHT! Was hat er auch für eine andere Wahl?

 

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