Immer nur über positive Verstärkung arbeiten? Geht das? Leider muss ich sagen: Nein!

Um es zu verstehen, muss ich etwas weiter ausholen.

Jedes Säugetier lernt gleich: Klassische und Operante Konditionierung sind zwei wichtige Lernformen. In diesem Artikel lassen wir die anderen Lernformen außen vor. Auch klassische Konditionierung können wir zur Beantwortung der Frage: “Kann ich immer über positive Verstärkung mit meinem Hund arbeiten?” unbeachtet lassen.

 

Kennt ihr dieses Bild? Fürchtet ihr es? 😉

Operante Konditionierung ist eine Lernform, bei der Verhalten mit Konsequenzen verknüpft wird. Es gibt vier verschiedene Konsequenzen – mehr nicht. Oben auf dem Bild seht ihr das Quadrat der Konsequenzen.

+ R = positive Reinforcement = positive Verstärkung

– R = negative Reinforcement = negative Verstärkung

+ P = positive Punishment = positive Strafe

– P = negative Punishment = negative Strafe

Nun muss ich euch ein bisschen was erklären, damit ihr dieses Quadrat der Konsequenzen auch versteht.

Positiv und negativ ist als “hinzufügen” und “wegnehmen” zu verstehen. Es ist also mathematisch und nicht im Sinne von “gut” und “böse” zu verstehen.

Verstärkung lässt Verhalten häufiger, schneller, länger oder intensiver auftreten. Außerdem bleibt Verhalten durch Verstärkung bestehen.

Strafe hemmt Verhalten und lässt es weniger häufig auftreten.

Tritt Verhalten also häufiger auf, dann wissen wir: Wir arbeiten über positive oder negative Verstärkung.

Tritt das Verhalten weniger auf, dann wissen wir: Positive oder negative Strafe.

Was aber bedeutet das?

+ R = Es wird etwas für Hund Angenehmes hinzugefügt

Beispiele:

  • Der Hund setzt sich, ich gebe dem Hund ein Leckerlie -> Sitzen wird verstärkt
  • Der Hund rennt über die Wiese und stöbert einen Hasen auf -> Rennen / Stöbern wird verstärkt
  • Der Hund kommt zu mir gelaufen und ich werfe dem Hund einen Ball -> Zurückkommen zur Bezugsperson wird verstärkt

    Dein Hund mag Apfel und hat gerade Hunger? Dann wird sein Verhalten damit verstärkt.

– R = Es wird etwas für den Hund Unangenehmes entfernt

Beispiele:

  • Hund A bellt an der Leine Hund B an, diese entfernt sich, während Hund A immer noch bellt -> Bellen wird verstärkt
  • Der Hund hat Angst vor Menschen. Es wird trainiert: Ein Mensch nähert sich dem Hund, der Hund zeigt kleine Anzeichen für Unwohlsein, aber kein Bellen (!), es wird markiert (mit dem Markersignal) und der Mensch entfernt sich wieder -> Annäherung des Menschen wird verstärkt
  • Der Hund bellt am Zaun, der Spaziergänger läuft einfach weiter -> Bellen am Zaun wird verstärkt

+ P = Es wird etwas für den Hund Unangenehmes hinzugefügt

Beispiele:

  • Hund A knurrt, wenn sich Hund B nähert. Der Mensch “Zssscht” und bedroht den Hund körpersprachlich -> Knurren wird gehemmt
  • Der Hund bellt einen anderen Hund an, er wird von hinten angetippt und erschreckt sich -> Bellen wird gehemmt
  • Der Hund macht Sitz, der Besitzer streichelt den Hund, beugt sich dabei über den Hund und der Hund zeigt deutliches Meideverhalten -> Sitzen wird gehemmt

– P = Es wird etwas für den Hund Angenehmes entfernt oder vorenthalten, wenn der Hund es erwartet

Beispiele:

  • Der Hund bellt, weil er Aufmerksamkeit von seiner Bezugsperson haben möchte, dieser ignoriert den Hund und schaut weg vom Hund -> Bellen wird gehemmt
  • Beim 10-Leckerlie-Spiel werden die Leckerlies abgezählt, der Hund fängt das Jammern an, Bezugsperson gibt das Signal “Schade”, die Leckerlies werden weggesteckt und der Mensch macht die Leckerlietasche zu und dreht sich weg -> Jammern wird gehemmt
  • Der Hund macht Sitz, der Mensch greift in die Tasche mit dem Ball, entscheidet sich dann aber dafür, dem Hund nur ein Leckerlie zu geben und greift in den Leckerliebeutel und gibt dem Hund ein Leckerlie -> wenn der Hund sehr gerne Ball spielt, dann wird das Sitz gehemmt

Eine Box kann für den einen Hund ein Rückzugsort sein, für den anderen Hund ein Entzug vom Besitzer.

Gar nicht so einfach! Beim Schreiben hat es eine ganze Weile gedauert bis ich Beispiele im Bereich positive und negative Strafe gefunden hatte. Wie der Hund etwas empfindet, ist individuell. Ich sehe erst am Verhalten des Hundes, in welchem Quadranten wir uns gerade aufhalten.

Ist es immer einfach? Nein, leider nicht …

Dazu ein Beispiel:

Es ist eine “Trainingstechnik” (extra in Gänsefüßchen):

Ein Hund mit Jagdproblematik. Diesem Hund wird ein Zughalsband umgemacht und an diese eine 10m Schleppleine. Man lässt den Hund mit Vollspeed in die Schleppleine rein rennen. Ziel ist es, dass der Hund nicht mehr jagen geht.

Welcher Quadrant? Das Rein rennen in die Schleppleine ist für den Hund sehr unangenehm. Es wird also etwas Unangenehmes hinzugefügt: + P

Funktioniert es? Kann man das so einfach sagen? Nein, kann man nicht.

Ist die Jagdmotivation des Hundes eher gering und der Hund vom Typus eher ängstlich, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Hund in seinem Leben nicht mehr Jagen geht.

Ist die Jagdmotivation groß und überwiegt die unangenehme Einwirkung, dann funktioniert diese Methode nicht. Das Jagdverhalten wirkt positiv verstärkend (es ist sogar selbstbelohnend) und der starke Leinenruck (positive Strafe) wirkt nicht so stark. Das Jagdverhalten ist stärker belohnend als die Strafeinwirkung hemmt.

In dem Artikel “Strafe und ihre Nebenwirkungen” könnt ihr nachlesen, warum ich diese Methode nicht anwende. Mal ganz von den körperlichen Schäden dieser Methode abgesehen.

Zweites Beispiel:

Mit dem Hund wird größtenteils über positive Verstärkung gearbeitet. Positive Strafe wird nicht verwendet im Training. Allerdings müssen wir uns eingestehen: Sobald der Hund das Leinenende erreicht und die Leine ruckt, wird das vorher gezeigte Verhalten positiv gestraft. Jedes Mal, wenn wir “Fertig” sagen und der Hund aber eine Belohnung erwartet, wird das davor gezeigte Verhalten über negative Strafe gehemmt.

Da das Erreichen der Schleppleine, am meisten im vollen Galopp, positive Strafe ist, sollte dies immer angekündigt werden.

Wir können also nicht komplett verhindern über negative und positive Strafe zu arbeiten. Aber wir können uns Gedanken darüber machen und erst alle anderen Möglichkeiten, die sich uns bieten, verwenden (Rahmenbedingungen verändern, Management, positive und negative Verstärkung). Abmildern kann man Strafeinwirkungen durch durchdachtes Training und durch Ankündigung von allen unangenehmen Einwirkungen, die einfach sein müssen (z.B. Leinenendesignal). Dazu habe ich im Artikel Regeln über Regeln ein wenig was geschrieben.

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